Wer ist „das Unternehmen“? Streit der Landgerichte über eine philosophische Frage mit harten Bußgeldkonsequenzen
veröffentlicht am 21.11.2021
Der gesetzgeberische Tumor immer härterer Unternehmenssanktionen verzweigt sich in alle Kapillaren unserer Rechtsordnung und nimmt vielgestaltige Formen an. Dazu gehören die Bußgeldvorschriften der Art. 83 DSGVO, § 41 Absatz 1 BDSG. Die unklaren Vorschriften haben einen Streit der Landgerichte Bonn und Berlin ausgelöst, ob damit der Schuldgrundsatz aufgegeben ist und Geldbußen gegen das Unternehmen verhängt werden können, auch wenn man nicht weiß, wer Täter war. LG Bonn hält sich nach EU-Recht für verpflichtet, auch dann zu sanktionieren, wenn ein Pflichtverstoß vorliegt, ohne dass Verschulden auf Leitungsebene nachgewiesen worden ist; LG Berlin will demgegenüber bei § 30 OWiG bleiben, auf den deutschverfassungsrechtlichen Schuldgrundsatz nicht verzichten und verlangt den Nachweis, dass Organmitglieder oder Repräsentanten den Verstoß verschuldet haben. Der Streit der Landgerichte rückt viele Fragen ins Blickfeld: Haftet „das Unternehmen“, weil es rechtlich eine „Person“ ist oder weil ihm die Verstöße anderer „zugerechnet“ werden? Welche Personen sind das? Genügt es für Bußgelder, wenn die Strafverfolger lediglich darlegen, „das Unternehmen“ habe den Verstoß begangen, nicht aber, wie es zum Verstoß kam? Entfalten die Grundrechte noch Wirkung gegenüber dem strafenden Staat? Aus Sicht des Verfassers ist dem LG Berlin Recht zu geben.